Als ich vor 15 Jahren mit dem Schreiben anfing war klar: Ich bin Bauchschreiberin. Damals tummelte ich mich in großen Schreibforen (die leider eingegangen sind) und beteiligte mich engagiert an den unterschiedlichsten Diskussionen – unter anderem zur Frage, ob es sich lohnt, eine Geschichte vor dem Schreiben zu planen.

Die Welt in diesem Thread teilte sich in zwei Fraktionen: Plotter und Bauchschreiberinnen. Die Plotterinnen waren der Meinung, ein Buch müsse zuerst geplant und erst dann geschrieben werden, die Bauchschreiber – so auch ich – versetzte dieser Gedanke in Aufruhr.
Für mich war klar:
Planen von mir aus, aber nie weiter als bis zum nächsten Kapitel!
Wenn am Anfang bereits alles feststeht, tötet das doch den kreativen Prozess und nimmt mir den Spaß an der Sache. Wie, bitte schön, soll ich mich noch für ein Buch interessieren, dessen Ende ich bereits kenne? Wo bleibt der Thrill? Die Überraschung? Ein Plan zwingt die Figuren in ein Korsett und stutzt die Flügel der Fantasie. Planen, so dachte ich und denken viele andere, bedeutet nichts anderes als ödes Handwerk und Schreiben am Fließband. – Und hat nicht schon Schiller einen Aufsatz mit dem Titel „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben“ verfasst? Eben. Damit war die Sache für mich gegessen.
Ein paar Jahre später begann ich mein Studium in kreativem Schreiben und lernte dort, dass es
verschiedene Schreibtypen gibt. Ich war damals noch recht radikal und es war zweifellos horizonterweiternd für mich zu sehen, dass für unterschiedliche Menschen unterschiedliche Wege zum Ziel führen – und dass es zwischen Planen und Bauchschreiben noch viel mehr gibt. Die Skala, die uns vorgestellt wurde (und sich am Buch „Schreiben und Denken“ von Hanspeter Ortner orientiert) geht vom Flow-Schreiber und Ein-Text-Schreiber über den Versionenschreiber zum Puzzler und – zum Planer. Insgesamt macht Ortner acht Schreibtypen aus und arbeitet detailliert die Vor- und Nachteile heraus.
Friedrich Dürrenmatt zum Beispiel schrieb ohne Plan auf der Basis einer Idee.
Dabei kam er immer nur bis zu einem gewissen Punkt, an dem er die Geschichte – oder in seinem Fall das Theaterstück – nicht mehr weiterbrachte. An diesem Punkt fing er an, die Geschichte ein zweites Mal komplett neu zu schreiben, kam ein bisschen weiter – und fing wieder von vorne an. Für ihn musste sich alles linear und in einem Guss aus dem Anfang ergeben, punktuelle Bearbeitungen waren nicht vorgesehen. Mit einigen Stücken ist er, es überrascht kaum, Zeit seines Lebens nicht fertig geworden. Falls du dich hier wiedererkennst, das ist der Typ „Versionenneuschreiber“ – zweifellos eine konsequente, aber unglaublich aufwändige Schreibweise, die sich eher Meisterinnen ihres Fachs zutrauen sollten – und die sich definitiv nicht für tausendseitige Romane eignet.
Trotzdem war ich zu Beginn ungefähr auch so unterwegs. Ich schrieb munter drauflos und kam unweigerlich an den Punkt, an dem es nicht mehr weiterging. Anstatt aber dann tapfer von vorne zu beginnen, litt ich unter den auftretenden Schreibblockaden. Manchmal zogen sie sich über Wochen hin, manchmal über Monate und waren eine beständige Quelle von Frust und zerstörerischer Selbstkritik. Dabei ist das Auftreten von Schreibblockaden in diesem Zusammenhang kaum verwunderlich. Ich war blutige Anfängerin (nein, ein Germanistikstudium qualifiziert nicht zum Schreiben) und mein erstes Projekt war ein epischer Roman von gigantischer Komplexität (das sehe ich übrigens oft, dass erste Projekte wahnsinnig komplex sind – so als ob man gleich die sixtinische Kapelle ausmalen wollte, anstatt zum Beispiel mit einem Stillleben anzufangen).
Sich hier ohne Plan durchzuschlagen musste zwangsläufig darin münden, dass ich hunderte von Seiten wegwerfen musste, weil ich die Geschichte am falschen Ort begonnen oder sie in eine Sackgasse manövriert hatte.
Das Vorgehen lässt sich mit einer Dschungelexpedition ohne Karte vergleichen
Einfach mal mit der Machete durch den Wald. Klar, es kann durchaus sein, dass du auf diese Weise einen wunderschönen Wasserfall entdeckst. Aber öfter noch gelangst du an einen reißenden Fluss, einen schroffen Felsen oder einen nebelverhangenen Sumpf, für dessen Überwindung du gerade nicht die passenden Seile, Kletterhaken oder Boote dabei hast. Schlimmer ist es, wenn du (wie ich damals) nicht nur eine Bresche schlägst, sondern den Weg auch noch mit Stellriemen versiehst, mit Kies auffüllst und ausharkst, sprich, alles fein säuberlich ausarbeitest. Das Wegwerfen ist dann nochmal um einen Ticken schmerzhafter.
Ich ging also zähneknirschend dazu über, Rohfassungen zu schreiben. Heißt: Ich ließ die (in meinen Augen) schlecht geschriebene Passagen einfach stehen und schrieb weiter in der Hoffnung, dass ich bald erkennen würde, dass ich auf dem richtigen Weg wäre. Das führte aber eher zu noch mehr Unzufriedenheit, denn ich verlief mich genauso oft wie zuvor, konnte mich aber nicht einmal mehr an der Schönheit des Geschriebenen erfreuen.
Die Misere endete erst, als ich das Konzept der Heldenreise kennen lernte.
(Ich empfehle wärmstens das Buch „Die Odyssee des Drehbuchschreibers“ von Christopher Vogler). Zum ersten Mal hatte ich ein Handlungsgerüst, das mir einleuchtete. Da ich mich zu dem Zeitpunkt gerade wieder in einer Schreibblockade festgefahren hatte, beschloss ich, übungshalber eine neue Geschichte zu schreiben. Eine, die sich streng nach diesem Muster richten würde. Einfach um zu sehen, ob es funktioniert. Und siehe da: Es gab immer noch Passagen, die mir schwerer vielen, aber ich schrieb die Geschichte innerhalb eines Monats zu Ende.
Nach diesem durchschlagenden Erfolg waren meine Schreibblockaden Vergangenheit und das aus einem einfachen Grund: Ich dachte den Plan nicht mehr von der Handlung, sondern von der Entwicklung der Figur her. Die Frage verschob sich von „was wird als nächstes geschehen?“ zu „was muss die Figur erleben, damit der nächste Entwicklungsschritt möglich wird?“. Ich hatte ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass ich die Figur über einen Auslöser in eine tiefe Krise führen musste. Noch immer schrieb ich keinen Plot, sondern orientierte mich für jedes nächste Kapitel an dem, was aus der Figur heraus nötig wurde. Mit dieser Technik schrieb ich zwei weitere Bücher und war damit zufrieden.
Dann stand wieder ein komplexes Projekt an
Der historische Roman, den ich zusammen mit Bruno Blume geschrieben habe. Das Projekt lungerte schon lange in unseren Hinterköpfen herum. Wir hatten schon Monate damit verbracht, zu recherchieren, die Geschichte gemeinsam zu entwerfen, zu diskutieren und die Figuren zu entwickeln – allerdings noch keine Zeit gehabt, irgendetwas davon aufzuschreiben. Als endlich der Tag kam, an dem wir loslegen wollten, gab es erst einen meiner sorglosen Anfänge (ich schreibe am allerliebsten Anfänge, weil ich da einfach mitten in eine Szene springen und völlig befreit drauflos schreiben kann) und nicht viel mehr. Und ich weiß noch genau, wie Bruno mich anschaute und sagte: „Okay, machen wir einen Plan.“
Ich schluckte leer. Ich hatte noch nie einen Plan gemacht. Du erinnerst dich: die Kreativität, die Emotionen, die Spannung … Aber wir hatten nur wenig Zeit und waren darauf angewiesen, parallel an verschiedenen Szenen zu arbeiten. Also schaute ich widerstrebend zu, wie Bruno eine Excel-Tabelle öffnete und anfing, einen Szenenplan zu entwerfen.

Während der nächsten Tage und Wochen stellte ich fest, dass die Zeit, die ich normalerweise vor dem „leeren Blatt“ verbringe, signifikant kürzer geworden war. Wenn ich mich an den Computer setzte, wusste ich bereits, was in der kommenden Szene vorkommen musste. Manchmal hatten wir schon Recherchefetzen oder Textausschnitte an die entsprechende Stelle im Manuskript kopiert und immer stand im Szenenplan, was die Erzählabsicht der Szene sein sollte. Für komplexe Projekte ist das besonders hilfreich, denn es gibt nicht mehr nur die Entwicklung der Figur, die vorangetrieben werden muss, sondern (in unserem Fall) auch Dinge wie historisches Setting, äußere Anzeichen der Katastrophe, Auftritte von Nebenfiguren, etc.
Und was ist nun mit der Kreativität?
Nun, ich lernte, dass ein Plan keine definitive und unumstößliche Angelegenheit ist. Vielmehr verändert er sich, verfeinert sich da und weitet sich dort aus. Es ist ein höchst kreativer Prozess, der parallel zum Schreibprozess verläuft – und beides befruchtet sich gegenseitig. Seither bin ich ein großer Fan von Szenenplänen. Sie ermöglichen einen groben Überblick, zeigen auf, wo noch Schwächen und Lücken sind, ermöglichen Szenenhopping (wenn du irgendwo festgefahren bist, kannst du einfach mit einer anderen Szene weiterfahren) und vor allem: Sie verkürzen die Umwege. Drastisch.
Aber das ist jetzt nur die Art und Weise, wie ich im Moment ans Ziel komme. Bist du glückliche Bauchschreiberin oder erfolgreicher Versionenneuschreiber? Dann bleib ruhig dabei!
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